Exkursion im Praxisseminar Creative Writing: Frauenfiguren

Konnten Frauen im Mittelalter in ihren langen Kleidern überhaupt kämpfen?

Hatten sie auf den engen Wendeltreppen der Mittelalterburgen überhaupt genug Platz, um sich gegen Angreifer zur Wehr zu setzen?

Und welches Geräusch war zu hören, wenn sie ihr Schwert zogen?

Wer Erzählungen schreibt, stellt sich oft Fragen, die sich aus eigener Erfahrung nur bedingt beantworten lassen. Kommt dann noch ein historisches Setting hinzu, wird es mit der Recherche schnell knifflig, denn auch wenn wir uns anhand von Digitalisaten und YouTube-Videos erstaunlich viel zusammenreimen können: Oft zeigt erst der Praxistest, ob in der Szene, die wir uns im stillen Kämmerlein ausgedacht haben, auch wirklich alles rund läuft.

Im Rahmen eines Creative-Writing-Seminars im Fach Allgemeine Rhetorik fand im Dezember 2022 eine vom Rhetorikforum geförderte Exkursion statt, die genau diese Lücke zwischen Theorie und Praxis adressierte.

Wie diese Show-and-Tell-Veranstaltung ablief? Das berichten die Teilnehmer*innen am besten selbst.

Die Schreib-Challenge, mit der alles begann

Die Exkursion war Teil des Doppelseminars „Frauenfiguren“, das im Wintersemester 2022/23 als interdisziplinäre Lehrveranstaltung unter der Leitung von Thalia Vollstedt (Mediävistik) und Kathrin Schelling (Allgemeine Rhetorik) stattfand. Wie der Titel bereits vermuten lässt, drehte sich hier alles um die Frage, wie Frauenfiguren von der mittelalterlichen Literatur bis heute dargestellt werden und was wir daraus für unsere eigene Schreibpraxis lernen können.

Einer der Figurentypen, mit dem wir uns dabei besonders intensiv beschäftigt haben, war die Kriegerin. Zur Vorbereitung auf die Theorie-Sitzung zu diesem Thema gab es eine ganz besondere Schreibaufgabe: In Kleingruppen haben wir Figurenkonzepte für eine Frauenfigur in einem mittelalterlichen Setting entwickelt, die in einer ganz bestimmten Situation zur Waffe greift. Mit den Ergebnissen dieser „Kriegerinnen-Challenge“ haben wir uns dann aufgemacht, um Expertenfeedback einzuholen.

Expertenfeedback, Faktencheck und viel Inspiration

Die Exkursion am 3. Dezember 2022 führte uns in den Künstlerhof nach Rottenburg am Neckar – genauer gesagt: Ins Dojo der Lebendigen Schwertkunst. Hier rekonstruiert und unterrichtet Fechtlehrer Wolfgang Abart seit über 20 Jahren historischer Kampfkünste aus dem europäischen und besonders dem süddeutschen Raum. Einen ganzen Vormittag lang konnten wir hier unsere Figurenkonzepte vorstellen und mit dem Experten an unseren Szenen arbeiten.

Um das Nachstellen der Szenen möglichst anschaulich zu gestalten, hatten sich fünf Mitglieder der Reenacment-Gruppe der Lebendigen Schwertkunst freiwillig gemeldet, um die Exkursion zu begleiten. Drei von ihnen traten sogar in spätmittelalterlicher Frauengarderobe an, sodass wir Themen rund um das Alltagsleben im Mittelalter an konkreten Beispielen diskutieren und viele Fragen zu den Handlungsabfolgen in unseren Kampfszenen direkt durch Nachstellen und Ausprobieren mit den Fechterinnen beantworten konnten.

So verging der Vormittag im Künstlerhof wie im Flug – doch beim gemeinsamen Mittagessen mit Wolfgang Abart und den freiwilligen Helfer*innen aus der Lebendigen Schwertkunst wurden viele Diskussionen direkt weitergeführt und auch noch einige zusätzliche Fragen beantwortet. Am frühen Nachmittag zog es manche aus unserer Gruppe außerdem noch einmal zurück ins Dojo, wo sie die Gelegenheit nutzten, selbst einmal die Feder gegen das Schwert einzutauschen.

Und natürlich haben wir jetzt auch Antworten auf unsere Fragen, mit denen dieser Bericht begonnen hat:

Konnten Frauen im Mittelalter in ihren langen Kleidern überhaupt kämpfen?
Wenn das Kleid gut saß und sie bei Bedarf den Rock raffen konnten: Auf jeden Fall.

Hatten sie auf den engen Wendeltreppen der Mittelalterburgen überhaupt genug Platz, um sich gegen Angreifer zur Wehr zu setzen?
Mit der richtigen Technik: Absolut. Mit der richtigen Technik war es ihnen sogar notfalls möglich, einen außer Gefecht gesetzten Angreifer trotz seiner schweren Ritterrüstung die Wendeltreppe herunter zu transportieren, nämlich mit dem Kopf voran, sodass die schwere Rüstung nicht an den Stufen hängen blieb.

Und welches Geräusch war zu hören, wenn sie ihr Schwert zogen?
Fast gar keines, wenn die Schwertscheide mit Fell oder Stoff ausgekleidet war.

Text: Exkursionsleiterin Kathrin Schelling in Zusammenarbeit mit allen Exkursionsteilnehmenden