Interview mit Dr. Céline Pieters über den KI-Diskurs

Vom 1. bis 3. Juni 2023 fand im Brechtbau der Universität Tübingen die 8. Tagung der Rhetoric Society Europe statt. Die Veranstaltung wurde vom Seminar für Allgemeine Rhetorik unter der Leitung von Dr. Frank Schuhmacher und Dr. Fabian Erhardt sowie vom Institut für Medienwissenschaften unter der Leitung von Dr. Anne Ullrich organisiert.

Die Tagung zog ein internationales Publikum an, darunter Gäste aus den USA, Neuseeland, Israel und verschiedenen europäischen Ländern. Die Mitglieder des Rhetorikforums erhielten vom Verein gesponserte Tagestickets. Die Veranstaltung begann mit einer Eröffnungsveranstaltung am Donnerstag und endete am Samstag. Höhepunkt war ein festliches Tagungsdinner am Freitag im historischen Silchersaal in Tübingen.

Die Teilnehmer konnten nicht nur an fachlichen Diskussionen und Vorträgen teilnehmen, sondern auch das ausgezeichnete Wetter und die sommerliche Atmosphäre genießen, die eine inspirierende Umgebung für den Austausch von Ideen und Perspektiven schuf. Unser Vereinsmitglied Jonathan Petersheim führte das folgende Interview mit Dr. Céline Pieters von der Universität Wien zum Umgang mit KI in unserer Gesellschaft.

Dr. Céline Pieters

Wagt man derzeit einen Blick in das Feuilleton oder ins Wissenschaftsresort, dann sind Chat-GPT und die Auswirkungen von KI omnipräsent: Bedroht KI Arbeitsplätze? Welche Konsequenzen hat KI für das alltägliche Leben? Der Mensch, die unperfekte Maschine? Aufmacher, die Sorgen bereiten können und mitunter auch Angst. Doch muss das sein? Können wir nicht auch anders über und dann vielleicht auch mit KI sprechen?

Jonathan Peterseim (B.A.)

Auf der Tagung habe ich Dr. Céline Pieters getroffen und mit ihr über die Fragen sprechen können, die sich mir in Bezug auf KI und den Umgang mit ihr stellen. An der Universität Wien forscht sie im Fachbereich Rhetorik zum Diskurs über technowissenschaftliche Felder.

„Der Diskurs über KI sagt generell mehr über uns als Gesellschaft aus als über unseren Umgang mit KI und neuen Technologien. Wie wir Sprache nutzen, um über Roboter zu sprechen, sagt sehr viel über unsere geteilten Normen aus“, betont Céline Pieters am Anfang unseres Gesprächs und regt mich damit zum Nachdenken an. Wenn wir als Gesellschaft zu oft über die negativen Folgen von KI sprechen und Angst vor einer Technologie haben, die unsere Arbeitsplätze bedroht und etwas vermeintlich besser kann als wir, dann wirft das ein fragwürdiges Bild auf unser Selbst- und Technologieverständnis. Prometheisches Unbehagen nennt man dieses Gefühl. Es beschreibt, dass wir als Menschen von einer Entität – zum Beispiel Chat-GPT – in unserem vermeintlich einzigartigen Können übertroffen werden und sich dadurch ein Empfinden der Krise im eigenen Selbst breitmacht. Die Krone der Schöpfung oder eher ihr Selbstverständnis als solche bekommt also einen Kratzer? „Es ist in etwa wie ein Spiegel, wobei es alles andere als ein Spiegel ist“, so Pieters. „Angesichts der Tatsache, dass Maschinen nach dem Vorbild unseres Verständnisses von ›Sein‹ geschaffen werden und beispielsweise auf unserer derzeitigen Vorstellung von Intelligenz basieren, ergibt es Sinn, dass wir uns Fragen über unsere eigene Existenz stellen, wenn wir KI und Produkte der Robotik betrachten. Genauso verhält es sich mit dem Umstand, dass wir sprachliche Strategien, Metaphern und Analogien benötigen, um uns irgendwie in einem Verhältnis zu diesen Quellen des prometheischen Unbehagens zu setzen und zumindest im Ansatz zu verstehen, wie welche Prozesse ablaufen.“

Dieses Unbehagen hat auch viel mit Kontrollverlust und dem Gefühl von Ausgeliefert-Sein zu tun. Doch sind wir das wirklich? „Meinem Verständnis nach ist KI keine autonome Entität in dem Sinne, dass sie uns einfach so widerfährt. Wir, als Menschen, sind es, die KI zulassen müssen.“ Pieters weist damit auf einen entscheidenden Punkt hin und entzieht einem Unbehagen gegenüber der Künstlichen Intelligenz das Fundament. Die Technologie erschaffen wir, wir Menschen. Und eine Gesellschaft, bestehend aus Menschen, entscheidet schlussendlich über den Einsatz von KI, über die Grenzen von KI und über die Auswirkungen, die KI auf das Leben hat. Technik ist daher nicht Antagonist des Menschen im täglichen Höher-Schneller-Weiter, vielmehr ist Technik – KI als aktuell uns so beschätigendes Feld dieser – ein Produkt dessen, was wir als Forschung, Entwicklung und Innovation vielfach fördern, fordern und bereits täglich nutzen.

„Natürlich gibt es die berühmte BlackBox und Deep-Learning. Da wird gerechnet und vernetzt, sodass dann ein Ergebnis geliefert wird, das ein Mensch nicht nachvollziehen kann, aber was mit dem Ergebnis am Ende passiert, entscheiden dann doch immer wir.“ Aus dieser Aussage Pieters’ folgt aber, dass es nicht die KI ist, die uns Angst macht, sondern der unklare Umgang mit und der Einsatz von neuen Technologien durch uns selbst, durch andere Menschen, denen wir nicht vertrauen, denen wir vielleicht auch unterstellen, dass sie KI nicht nur als innovative Technologie in der Hand halten, sondern auch als Waffe, als Bedrohung.

Eine Möglichkeit, um dieses Unbehagen der BlackBox KI auszuräumen und mehr Verständnis zu schaffen, ist die Wissenschaftskommunikation. „Wir brauchen keine Expertengesellschaft! Wir müssen das notwenige Wissen in die Gesellschaft tragen, ja, um die Dinge verständlich zu machen und Angst abzubauen, doch es sollte nicht jeder Bürger Experte für Robotic und KI sein müssen. Am wichtigsten für mich persönlich ist, dass wir eine Sprache finden, die Experten und Laien teilen.“ Damit entfernen wir uns von einem Bild, das Experten und die Wissenschaft im Allgemeinen turmhoch neben den unwissenden Laien stellt. Vielmehr geht es darum, dass ein respektvoller Austausch stattfindet, der sich von einem klassischen knowledge-deficit model verabschiedet und die Adressaten mehr ins Zentrum der kommunikativen Absichten stellt. „Es braucht erstens den Willen und das Interesse auf beiden Seiten und zweitens Rhetorik, denn Rhetorik bietet dabei als entscheidende Technik viele Möglichkeiten, sich in die unterschiedlichen Herausforderungen und Sichtweisen der Leute hineinzuversetzen.“ Diesen Gedanken macht Pieters aber nicht nur innerhalb der Gesellschaft stark. Auch in der Wissenschaftswelt, im Labor beispielsweise, müssen Barrieren abgebaut werden: „Mein Traum ist es, dass nicht erst nach außen, also für eine externe Wissenschaftskommunikation, Experten mit Experten reden. Schon im Labor braucht es Robotic-Experten Schulter an Schulter mit Ethikern und auch Akteuren aus der Wissenschaftskommunikation. Nur so können wir neue Technologien verständlich machen.“ Mit dieser Vorstellung ist Céline Pieters nicht allein. Immer mehr interdisziplinäre Projekte werden geschaffen. Das RhetAI Center in Tübingen ist ein Beispiel. Dort wird aus rhetorischer Perspektive auf KI und den Umgang mit ihr geblickt, wobei immer wieder ein intensiver Austausch mit Wissenschaftlern gesucht wird, die die KI entwickeln.

„In naturwissenschaftlichen und anderen technischen Studiengängen ist es essentiell, Kurse zu schaffen, die Wissenschaftskommunikation als ethische Praxis und Möglichkeit zur Reflexion behandeln. Dabei sollte die zentrale Frage immer lauten: Für wen mache ich das? Denn die Ergebnisse der Wissenschaft kommen den Leuten zugute, sie werden mit ihnen im Alltag konfrontiert sein. Außerdem ergibt sich darin ein heuristisches Prinzip, welches eine stetige Verbesserung und Präzisierung der eigenen Forschung anstößt.“ Pieters hat solche writing courses schon begleitet und immer mehr Universitäten implementieren diese Angebote in ihre Studiengänge.

Am Ende unseres Gesprächs erkenne ich zwei große Herausforderung, für uns als Gesellschaft als auch innerhalb der Wissenschaft: Der praktische Umgang mit KI muss weg von dem Gedanken, dass wir es mit einer autonomen Größe zu tun haben, der wir ausgeliefert sind. Es ist immer der Mensch im Hintergrund, der die KI trainiert – deswegen sollte hier auch eigentlich die ganze Zeit korrekterweise von Machine Learning und nicht von KI die Rede sein: Wir geben der Maschine Material, auf dessen Grundlage sie Berechnungen durchführt, sie lernt in gewisser Weise von uns und bietet uns Ergebnisse dessen an, was wir ihr auftragen. KI liefert Angebote, über deren Umsetzung der Nutzer, also ein Mensch, entscheidet. Ein Unbehagen gegenüber KI ist demnach ein Unbehagen gegenüber Mitmenschen und den ethischen Normen, die wir als Gesellschaft teilen, teilen sollten. Die zweite Aufgabe hat mit Wissenschaftskommunikation zu tun. Intern als auch extern muss ein Umdenken erfolgen und die Ergebnisse aus Laboren interdisziplinär aufbereitet werden, sodass innerhalb der Gesellschaft auch Laien eine angemessene Basis haben, auf der sie über den Einsatz und Nutzen von KI und neuen Technologien sprechen können.

Wir müssen nicht alles verstehen, was dort im endlosen Netz der Zahlen geschieht, können wir auch gar nicht. Doch wir müssen einen Weg finden, um gemeinsam darüber zu sprechen, die Sprache in Angesicht der schier rasenden Entwicklung im Bereich Technik nicht zu verlieren. Und schlussendlich müssen wir uns auch mit dieser Sprache in unser Gegenüber hineinversetzen und versuchen zu verstehen, was Technik und Entwicklung für andere Personen bedeutet. Dazu hat Céline Pieters noch einen letzten Tipp, fernab von Medien und Informationsaufbereitung, ganz im Moment: „Wenn du was trinken gehst und triffst Leute, die eben nicht aus deiner Fachrichtung kommen, dann sprich mit ihnen und sei interessiert an deren Forschung. Das klingt ein bisschen naiv, aber man braucht auch einfach Freunde außerhalb seiner Bubble und dabei entstehen meistens die besten interdisziplinären Gespräche.“